«Lasst alle zu mir kommen …»
. Ein Plädoyer für eine zertifikatsfreie Kirche

Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! (Joh 7,37)

Stellen Sie sich ein antikes Heiligtum vor: Ein uralter Tempel in einem schönen grünen Hain, der schon seit Generationen Menschen verschiedener Kulturen und Sprachen die Möglichkeit bietet, sich zu erholen, wieder zu sich zu finden und dem Leben Halt zu geben; ja vielleicht sogar ein neues Leben anzufangen. Denn im Inneren dieses Tempels befindet sich eine Quelle, der man nachsagt, dass sie alle heilen kann, die aus ihr trinken. Zweifelsohne würde jede Kultur einen solchen Ort wie einen kostbaren Schatz schützen. Und in der Tat haben Tempel, Heiligtümer und heilige Orte seit Menschengedenken einen besonderen Schutz genossen und nicht selten war das unbefugte Betreten eines heiligen Bezirkes sogar mit einer Strafe verbunden.

Im frühen Christentum passiert allerdings etwas Neues: In dieser aufgehenden Religion darf man sich zwar irgendwann auch über wunderschöne Sakralbauten freuen, doch es wird immer wieder betont, dass der eigentliche Tempel Gottes die Menschen sind, die sich in diesen Bauwerken versammeln:

Denn wir sind der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: ‹Ich werde bei ihnen wohnen und unter ihnen wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein›. (2Kor 6,16b / Ez 37,27)

Der Tempel Gottes sind hier die versammelten Christen, denn in ihrer Mitte ist Christus anwesend, wie er gesagt hat:

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,20)

Das Johannesevangelium illustriert diese sakramentale Präsenz Christi mit sehr schönen Bildern: Christus ist das Brot des Lebens (Joh 6,35), er ist das Licht (Joh 8,12), er ist der wahre Weinstock (Joh 15,1), und er ist auch die Quelle des lebendigen Wassers (Joh 7,38) in der Mitte dieses Tempels (Ez 47), der die Versammlung der Christen ist.

Im Gottesdienst ist Christus also auf eine besondere Art und Weise leiblich anwesend. Er lädt alle ein zu ihm zu kommen, die durstig (Joh 7,37), mühselig und beladen sind, denn er will sie erquicken (Mt 11,28). Die Einladung Christi an Bedingungen zu knüpfen widerspricht dem Geist des Evangeliums und steht Menschen nicht zu. Das Evangelium ist uns Grundlage und Leitlinie und aus diesem Grund finden unsere Gottesdienste weiterhin ohne eine Zertifikatspflicht statt. In unsere Gottesdienste sind ALLE ganz herzlich eingeladen.