Von Glauben und Frieden (Jak 3,16–4,3)

Die Frucht der Gerechtigkeit wird in Frieden für die gesät, die Frieden schaffen. (Jak 3,18)

Wir sind heute zusammengekommen, um gemeinsam den eidgenössischen Dank-, Buss und Bettag zu feiern. Wir werden also vom «Danken», «Busse tun» und «Beten» sprechen; und darüber, was damit unsere «Einheit» zu tun hat. Doch schon die Tatsache, dass wir einen ökumenischen Gottesdienst hier in der katholischen Kirche feiern, zeigt meines Erachtens deutlich, dass wir als evangelische und katholische Christen hier in Steckborn nichts von Spaltungen halten. Und ich denke, es gibt im Neuen Testament kaum einen Text, der an diesem Tag als Predigttext besser geeignet wäre, als der Brief des Jakobus, des Bruders des Herrn. Der grosse deutsche Theologe und Reformator Dr. Martin Luther bezeichnete diesen Brief bekannterweise als eine «stroherne Epistel» (1522),1 doch hier täuscht er sich gewaltig. Denn der Jakobusbrief ist scharf, wie eine Rasierklinge, wie wir sehen werden.

Womit sich Luther im Jakobusbrief schwertut, ist das Verhältnis von ‹Glauben und Werken›, denn der Bruder des Herrn schreibt hier zum Beispiel folgendes:

Was nützt es, meine Brüder und Schwestern, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten? Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben. (Jak 2,14.18b)

Für Jakobus ist «Glaube für sich allein tot» (Jak 2,17). Für Luther widerspricht dies allerdings dem evangelischen Prinzip sola fide, zumal in dem berühmten Römerbrief des Paulus, wo die Rechtfertigung des Menschen vor Gott ausführlich behandelt wird, steht:

So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. (Röm 3,28 LUTH)

Doch so klar steht es nur in der Lutherbibel, denn das Wort «allein» (sola) hat Luther selbst ergänzt, wie er auch zugibt. Im griechischen Text finden wir es nicht und auch nicht in der Zürcher Bibel.

Ausserdem bestreitet Jakobus nicht, dass die Grundlage des christlichen Lebens der Glaube ist. Doch es muss sich um einen tätigen Glauben handeln. Denn ein rein abstrakter Glaube bewirkt nichts. Zu so einem Glauben bemerkt Jakobus sogar ganz scharf:

Du glaubst: Es gibt nur einen Gott. Damit hast du Recht; das glauben auch die Dämonen und sie zittern. (Jak 2,19)

Ein Glaube, der nur im Kopf existiert, ist ein toter Glaube. Dieser Glaube verändert nicht das Leben und das Leben solcher Leute trägt dann weiter die bösen Früchte des alten unerlösten Menschen und ihre Gebete werden nicht erhört, wie es Jakobus in unserem Abschnitt schildert, wo er zu diesen Brüdern und Schwestern sagt:

Ihr begehrt und habt doch nicht, ihr geht über Leichen und giert und könnt doch nicht erlangen, ihr kämpft und führt heftige Auseinandersetzungen. Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet. Bittet ihr aber, so empfangt ihr nichts, weil ihr verkehrt bittet: Ihr bittet, um euren Begierden Befriedigung zu verschaffen. (Jak 4,2–3)

Solche Menschen sind gespalten, denn in ihrem Innersten herrscht ein Kampf zwischen dem Kopf und dem Herzen: Der Kopf meint richtig zu glauben und weise zu sein, doch das Herz ist nicht dabei. Jakobus sagt, solche Menschen haben «zwei Seelen» und sind unbeständig auf all ihren Wegen (Jak 1,8). Sie können gar nicht glauben: Sie zweifeln, denn sie sind in ihrem Innersten verzweifelt. Sie gleichen «einer Meereswoge, die vom Wind hin und her getrieben wird. Ein solcher Mensch bilde sich nicht ein, dass er vom Herrn etwas erhalten wird» (Jak 1,6–7), sagt Jakobus. Der Glaube solcher Menschen ist also definitiv nicht der Glaube, über den Jesus sagt, er könne Berge versetzten (Mk 11,23).

Doch wie sieht der Glaube aus, der Berge versetzten kann? Und wie entsteht dieser Glaube, der das Leben zum Guten verändert? Für die Antwort verlassen wir kurz das Neue Testament und wenden uns dem koptischen Thomasevangelium zu. Dort wird als Logion 48 folgender Spruch Jesu überliefert, der diese Frage sehr schön beantwortet:

Jesus spricht: «Wenn zwei miteinander Frieden schliessen in ein und demselben Hause, (dann) werden sie zum Berg sagen: ‹Hebe dich weg›, und er wird sich wegheben.» (Logion 48)

Hier wird in einem einzigen Spruch etwas sehr Wichtiges zusammengefasst, was Jesus im Neuen Testament an verschiedenen Stellen sagt (vgl. Mk 11,23-24 par): Das Fundament des christlichen Glaubens ist der Frieden, und zwar sowohl der innere als auch der äussere, denn dieses Wort Jesu muss man auf zwei Ebenen verstehen. Auf der ersten Ebene handelt es sich um den inneren Frieden: Das Haus sind wir und der Frieden herrscht in unserem Innersten, wenn der Kopf und das Herz eins sind, wenn sie sich nicht mehr in einem Konflikt befinden, sondern eine Einheit bilden. Dieser innere Frieden ist für den persönlichen Glauben fundamental. Auf der zweiten Ebene handelt es sich um einen Frieden zwischen Menschen, die im gleichen Hause wohnen, sei es die Familie, die Kirche oder das Land. Denn nur dann können sie mit ihrem Gebet etwas bewirken, wie es Jesus im Matthäusevangelium sagt, wo es heisst:

Weiter sage ich euch: Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,19–20)

Dies zeigt, wie fundamental die Versöhnung mit sich selbst und mit anderen für das christliche Leben aus Glauben ist. Denn ohne den inneren und äusseren Frieden gibt es keinen wahren Glauben und ohne einen wahren Glauben gibt es im Leben keine Früchte, zumal unsere Gebete nicht erhört werden. Dies ist auch der Grund, warum sich Christen in der Geschichte mit Gewissenskonflikten immer sehr schwer getan haben und bereit waren, für den Glauben lieber zu sterben als die eigene Seele einem Kompromiss zu opfern. Denn sie wussten: «Wo Frieden herrscht, wird von Gott für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut» (Jak 3,18). Kein Wunder also, dass das letzte grosse Gebet Jesu vor seinem Tod der Einheit seiner Jünger galt. Er betet im Johannesevangelium mit folgenden Worten:

Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt und ich komme zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir! (Joh 17,11)

Seit einigen Tagen kann man bei uns in der Schweiz allerdings tiefe Risse beobachten, die sich durch Familien, Freundeskreise, Kirchen und durch das ganze Land ziehen, denn im Zusammenhang mit der Pandemie wird uns eine Spaltung aufgezwungen. Diese Spaltung ist auf den ersten Blick zwar sehr künstlich, dennoch hat sie meines Erachtens das Potenzial den inneren Frieden des Einzelnen und den äusseren Frieden zwischen den Menschen zu zerstören. Was dann passiert, haben wir ja von Jakobus gehört. Lasst uns also dagegen gemeinsam ankämpfen, und zwar mit der Weisheit von oben: Diese ist «erstens heilig, sodann friedfertig, freundlich, gehorsam, reich an Erbarmen und guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht» (Jak 3,17). Denn dieser Friede ist unser Erbe: Er wurde uns von Christus geschenkt, als er nach seiner Auferstehung zu seinen Jüngern und durch sie zu uns sagte: «Friede sei mit euch!» (Joh 20,19.21.26). Die Worte der deutschen Mystikerin Hildegard von Bingen (1098–1179) mögen uns auf diesem Weg Kraft schenken. Sie sagt:

Sei tapfer und stark in der schiffbrüchigen Welt und in den harten Kämpfen gegen die Ungerechtigkeit. Dann wirst du als ‹heller Stern› in der ewigen Seligkeit strahlen.


  1. Sehr wahrscheinlich eine Anspielung auf den 1. Korintherbrief des Paulus, wo es heisst: «Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen» (1Kor 3,11–13).