Vom Feuer (Lk 12,49–53)

Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. (Lk 12,49)

Unser Leben ist voll von Entscheidungen. Es gibt kleine Entscheidungen, wie zum Beispiel im Supermarkt: Was soll ich kaufen? Oder in der Küche: Was soll ich heute kochen? (Oder wie in meinem Fall: Welche Nespresso-Kapsel nehme ich heute?) Und dann gibt es grosse Entscheidungen, wie: Was soll ich studieren? Wo soll ich arbeiten? Was soll aus mir werden? Und alle diese Entscheidungen haben Konsequenzen, die sich allerdings schwer abschätzen lassen, denn auch kleine Entscheidungen können im Leben grosse Veränderungen bewirken. Und es gibt viele Bücher und Filme, die damit künstlerisch sehr schön spielen: Der Hauptdarsteller trifft meistens eine relativ banale Entscheidung, wie einen anderen Weg zur Arbeit zu nehmen, oder diesmal nicht mit dem Auto zu fahren, sondern mit dem Zug, und trifft zufällig jemanden, den er schon lange Jahre nicht gesehen hat, oder noch öfter: die Liebe seines Lebens; und dann ist die Geschichte plötzlich sehr turbulent. Und es gibt sogar Physiker, die sagen, dass jede dieser Entscheidungen ein Paralleluniversum erzeugt, in dem wir uns an so einer Kreuzung im Leben gerade anders entschieden haben. Und so gäbe es unendlich viele Universen. Und in einem dieser Paralleluniversen steht hier heute ein anderer Pfarrer oder Sie haben sich entschieden zu Hause zu bleiben und sind heute gar nicht da. Fest steht, dass wir nicht wissen, was unsere Entscheidungen in Zukunft bringen. Erst im Nachhinein sehen wir die wirklich wichtigen Kreuzungen und Weichen in unserem Leben und erst dann wissen wir auch, ob wir uns richtig oder falsch entschieden haben, oder zum Teil. Denn wirklich wissen tun wir es erst ganz am Ende, wenn wir bei Gott sind und unser Leben als abgeschlossenes Ganzes betrachten können.

Und diese Unsicherheit hat Menschen schon immer sehr beschäftigt. Denn sie würden gerne immer richtig entscheiden, die richtige Wahl treffen, und wissen, was auf sie zukommt. Doch das war noch nie der Fall. Und so gab es schon immer Astrologen, Seher, Propheten oder heutzutage Psychologen und Wissenschaftler, denen viele die Entscheidung anvertrauen, um sie nicht selber treffen zu müssen oder um etwas mehr Sicherheit zu haben. Doch diese Sicherheit war und ist etwas trügerisch. Denn die Sterne, Zeichen, Träume oder Daten sind nicht immer eindeutig. Und so war man (und ist auch heute noch ) am Ende oft noch mehr dem Schicksal und den kosmischen Elementen ausgeliefert. Und auch die Christen scheinen dagegen nicht ganz immun zu sein. So schreibt Paulus der Gemeinde in Galatien in seinem Brief folgende Zeilen:

Damals jedoch, als ihr Gott nicht kanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind; jetzt aber habt ihr Gott erkannt – vielmehr seid ihr von Gott erkannt worden. Wie wendet ihr euch wieder zu den schwachen und armseligen Elementen zurück, denen ihr wieder von neuem dienen wollt? Ihr beobachtet Tage und Monate und bestimmte Zeiten und Jahre. Ich fürchte um euch, ob ich nicht etwa vergeblich an euch gearbeitet habe. (Gal 4,8–11)

Das Christentum hat den Galatern eine radikale Befreiung gebracht: eine klare Rede Gottes – im Unterschied zu undeutlichen Träumen und Zeichen. Oder wie es der Prophet Jeremia sagen würde: «Was hat das Stroh mit dem Korn zu tun?» (Jer 23,28). Doch die Christen in Galatien wendeten sich irgendwann wieder den Sternen, Zeichen und Träumen zu und trafen ihre Entscheidungen im Leben wie vorher, als ob sie Christus nicht gekannt hätten. Nun könnte man fragen: Und was ist schlecht daran Träume oder Sterne zu deuten? Darf ich etwa als Christ kein Horoskop lesen? Und war es nicht der biblische Josef, der Träume deutete, und wurden nicht die drei Könige von einem Stern nach Bethlehem geführt? Das Stroh wächst doch mit dem Korn zusammen. Und das stimmt. Und ich gehöre nicht zu den ‹aufgeklärten› Pfarrpersonen, die sagen: Träume sind einfach nur Träume und Zeichen sind ein Aberglaube. Nein, ich glaube, dass Gott zu uns auch durch Träume und Zeichen sprechen will und dass er das auch tut. Denn so war es auch bei Paulus, wie man in der Apostelgeschichte nachlesen kann:

Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! (Apg 16,9)

Gott bedient sich oft der Träume und Zeichen, um mit uns ins Gespräch zu kommen, wie auch das Korn das Stroh braucht, um wachsen zu können. Wo liegt also das Problem? Warum ist die Bibel dem Orakelwesen nicht so wohl gesinnt?

Das Problem ist, wenn man nicht zwischen dem Stroh und dem Korn unterscheiden kann, oder zwischen der Schöpfung und dem Schöpfer. Oder wenn man das Stroh für das Korn hält oder die Schöpfung für den Schöpfer. Denn die Elemente der Natur, sind gute Diener, aber schlechte und gnadenlose Herrscher. Das Feuer kann Wärme und Licht spenden, es kann aber auch zerstören. Ohne Wasser gäbe es kein Leben, aber das Wasser kann das Leben auch vernichten. Die Luft brauchen wir zum Atmen, aber ein Tornado kann ganze Städte zerstören. Und die Erde gibt uns und den Pflanzen und Tieren einen festen Boden, sie kann uns aber auch überrollen und verschütten.

Und in diese Situation kommt das Wort Jesu über das Feuer und die Spaltung, das hier kein Kompromiss kennt und auch vor den Familien keinen Halt macht. Es ist eine Spaltung von Korn und Stroh. Denn man kann sich nicht beherrschen lassen und zugleich herrschen wollen. Man kann nicht den Elementen der Natur dienen und zugleich dem, der sie erschaffen hat. Nun könnte man denken, das ist bei uns – im aufgeklärten modernen Europa – kein Problem; so etwas tun vielleicht noch die Naturvölker irgendwo in Afrika oder in Australien. Dem ist aber leider nicht so – bei uns ist es nur besser getarnt. Wir pflegen zwar nicht mehr die Astrologie oder Alchemie, sondern haben die Astronomie und Chemie, und statt Orakel haben wir die Statistik und computergestützte Modelle, die für uns Vorhersagen treffen. Sie sagen uns, wie sich der Markt in diesem Jahr entwickelt, wie das Klima in 50 Jahren sein wird und wie unser Universum in Millionen von Jahren aussieht. Und im Unterschied zu den Menschen in der Antike und im Mittelalter, die vor den Naturkräften noch Respekt hatten, ist der moderne Mensch fest davon überzeugt, dass er die Elemente der Natur beherrschen kann und zwar ohne Gott. Doch das ist nicht nur sehr arrogant, sondern auch sehr naiv. Man dient zwar nicht mehr der Natur, aber man dient der Naturwissenschaft. Doch auch die Naturwissenschaft ist eine gute Dienerin, aber eine sehr grausame Herrin, vor der uns prophetisch begabte Schriftsteller und Schriftstellerinnen in Romanen wie Frankenstein schon immer gewarnt haben. Der moderne Mensch will herrschen ohne Gott und merkt nicht, dass er in Wirklichkeit beherrscht wird, denn ohne Gott hat er keine Chance – die Kräfte der Natur sind stärker.

Was also nun? Wo führt der christliche Pfad durch? Der christliche Weg ist und war immer ein enger Weg (Mt 7,13), eine Gratwanderung sozusagen, und die Antwort findet man – etwas versteckt – auch im Lukasevangelium. Denn gleich nach unserer heutigen Lesung sagt Jesus zu den dort versammelten Leuten folgende Worte:

Wenn ihr im Westen eine Wolke aufsteigen seht, sagt ihr sofort: Es gibt Regen. Und so geschieht es. Und wenn der Südwind weht, sagt ihr: Es wird heiß. Und es geschieht. Ihr Heuchler! Das Aussehen der Erde und des Himmels wisst ihr zu deuten. Warum könnt ihr dann diese Zeit der Entscheidung nicht deuten? Warum findet ihr nicht schon von selbst das rechte Urteil? (Lk 12,54b–57)

Wir sollten nicht aufhören zu forschen und zu den Sternen zu fliegen, oder die Zeichen des Himmels oder unsere Träume zu deuten. Doch wir sollten sie auf Gott hin deuten und nicht vergessen, dass zu uns unser himmlischer Vater spricht und dies tut er in erster Reihe in unserem Herzen und erst danach in den Träumen oder den Zeichen der Natur.

Ab und zu fragen mich Menschen als Pfarrer, wie sie wissen können, dass ein Traum von Gott ist und was er bedeutet. Und ich sage immer, was ich heute auch hier sage: Wenn es ein Traum oder ein Zeichen von Gott ist, mit dem er dir etwas sagen will, dann kennst du immer bereits die Deutung, denn der Herr hat schon vorher zu dir in deinem Herzen gesprochen. Wenn du die Deutung nicht kennst, dann lass es sein, denn es gibt viele Träume und viele Zeichen auf dieser Welt und nicht alle sind für uns und für jetzt bestimmt. Wenn du also eine wichtige Entscheidung treffen willst, höre zuerst im Gebet Gott und deinem Herzen zu. Und vielleicht bekommst du dann im Traum oder durch ein Zeichen von Gott eine Bestätigung – und vielleicht nicht. Doch dies lässt sich nicht erzwingen und die Elemente der Natur lassen sich von Menschen nicht beherrschen. Und wer es versucht, wird sehr schnell von ihnen selber beherrscht und zwar früher als er das überhaupt merkt.

Denn wie ich schon am Anfang des Gottesdienstes gesagt habe, wir als Christen leben in einem ‹getauften› Kosmos. Nur aus diesem Grund konnte zum Beispiel der Hl. Franziskus in seinem berühmten Sonnengesang vom Bruder «Sonne» und der Schwester «Mond» sprechen, denn wir haben einen gemeinsamen Vater im Himmel. Und aus diesem Grund ist uns auch der ganze Kosmos freundlich gesinnt und bleibt es, wenn wir nicht versuchen ihn zu beherrschen, sondern, wenn wir uns ihm als Kinder Gottes erkennen lassen. Dann können wir zusammen mit dem Hl. Franziskus im Gebet sagen:

Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken
und heiteren Himmel und jegliches Wetter,
durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.

Gelobt seist du, mein Herr,
durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr,
durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark.

Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt
und vielfältige Früchte hervorbringt
und bunte Blumen und Kräuter.