Schloss Gottlieben (TG)

Ein Gefängnis des böhmischen Reformators Jan Hus

«Nomen atque omen quantivis iam est preti [Name, wie Bedeutung, ist schon jeden Preis wert]» besagt eine alte Redewendung (Plautus, Persa, 625) und so kann man fragen, was es wohl bedeute, wenn ein Ort seit dem 10. Jhdt. «bei den Gott wohlgefälligen Leuten» gennant wird [6], also «Gotiliubon», heute Gottlieben. Diesen Namen belegt schon die zwischen 1134 und 1156 verfasste Chronik des Klosters Petershausen, die das von einer Edelfrau dem Hl. Gebhard vermachte «prædium» (Gut) bei «Tegirwilare» (Tägerwilen) und «Gotiliubon» erwähnt. Am Anfang der Geschichte von Gottlieben stehen also in der Tat Gott wohlgefällige Leute. Und doch ist der Name heute nicht ganz frei von Ironie, denn in die Geschichte ist Gottlieben vor allem als Gefängnis der Diener Gottes eingegangen.

Bischofsburg

Die mit ca. 40 Hektaren und 300 Einwohnern eine der kleinsten Gemeinden der Schweiz, ist nur zwei Autostunden von Bern entfernt und liegt ca. 4 km westlich von Konstanz (D) / Kreuzlingen (TG), am Ufer des Seerheins, der den Obersee mit dem Untersee verbindet. Im Hinblick auf die Wasserwege besitzt Gottlieben also von Natur aus eine strategisch günstige Lage. Diese Lage und die Streitigkeiten mit den Bürgern von Konstanz haben den Konstanzer Bischof Eberhard II. von Waldburg wohl dazu geführt, dass er sich im Jahre 1251 entschieden hat, hier eine Wasserburg zu bauen und eine Stadt zu gründen, die für eine kurze Zeit sogar mit einer Brücke mit anderem Ufer verbunden war. Gottlieben war also als eine Konkurrentin zu der abtrünnigen Stadt Konstanz geplant. Doch nachdem Bischof Eberhard II. den Streit mit den Konstanzer Bürgern gewonnen hat, ist sein Interesse an Gottlieben verloren gegangen und er liess die Brücke über den Seerhein abreissen. Gottlieben wurde also nie zu einer Stadt, die Burg ist aber für mehr als 500 Jahre eine Residenz der Konstanzer Bischöfe geworden.

Gefängnis

Bekannt wurde das Schloss Gottlieben allerdings vor allem als bischöfliches Gefängnis. Das bezeugt bereits eine der ältesten Darstellungen aus der eidgenössischen Chronik des Luzerners Diebold Schilling (1508), wo vier eingekerkerte Kleriker aus dem Gefängnis fliehen (Abb. 1). In die europäische Geschichte ist Gottlieben dann dank dem Konstanzer Konzil (1414–1418) eingegangen, zumal hier vom März bis Juni 1415 der böhmische Reformator Jan Hus eingekerkert war, bevor er am 6. Juli 1415 in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde. Dies beschreibt ca. 1417 der Bericht des Peter von Mladoniowitz [5: 88–89]:

Indessen entwich am Mittwoch vor dem Palmsonntag, wie es hieß, um drei Uhr nachts, Papst Johannes XXIII. […]. Ihm folgten darauf seine Vertrauten und die Wachen genannten Magisters Johannes, und sie übergaben die Schlüssel des genannten Kerkers, in dem der Magister festgehalten war, dem König und, wie es hieß, dem Konzil, wobei sie sich selbst von der Bewachung des Magisters Hus fürderhin entlasteten. Und als der König mit dem Konzil die Schlüssel entgegengenommen hatte — und zwar am Palmsonntag [24.3.1415] —, übergab er sie dem Bischof von Konstanz, damit er den Magister in seine Gewalt nähme […] und der Bischof gab den Magister in der gleichen Nacht an Bewaffnete weiter, damit sie Magister Johannes auf seine Veste oder Burg brächten. Und nach Übernahme des Magisters setzten ihn die Bewaffneten in Fesseln bei Nacht in einen Kahn und brachten ihn oder fuhren mit ihm auf dem Rhein bis zur Burg des genannten Konstanzer Bischofs, nach Gottleben, die von Konstanz eine Viertelmeile entfernt ist. In dieser Burg lag er vom Palmsonntag an in einem Turm, der aber luftig war, im oberen Teil, in Fesseln einhergehend und nachts mit eiserner Handfessel an die Wand in der Nähe des Bettes gekettet und somit immer in Fesseln bis zum Zeitpunkt seiner Rückführung nach Konstanz.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade der abgesetzte Papst Johannes XXIII. (Balthasar Cossa), dessen Flucht aus Konstanz die Verlegung von Hus nach Gottlieben verursachte, dort am 3. Juni 1415 den anderen Johannes ablöste [7: 93, fol. 48v]. Ein dritter prominenter Gefangene war dann 1454 der Chorherr Felix Hemmerli aus Zürich [1: 188]. Dass hier auch Hieronymus von Prag festgehalten wurde († 30. Mai 1416, Konstanz), wie Ulrich von Richental in seiner Chronik erzählt [7: 100, fol. 56r], stimmt dagegen nicht [4: 133]. Die kirchengeschichtliche Bedeutsamkeit des Ortes ist hiermit vor allem mit dem Namen seines Prager Universitätskollegen Jan Hus verbunden, der hier fast drei Monate in einem der Türme eingekerkert war. Der im Westturm erhaltene «Hus-Kerker» (Abb. z.B. [1: 189]) – ein hölzernes Blockgefängnis – sollte daran noch erinnern; (allerdings widerspricht diese Art des Kerkers dem Bericht des Peter von Mladoniowitz).

Pilgerort

Jedenfalls ist Gottlieben – ähnlich wie der Konstanzer «Hussenstein» (Husův kámen) aus 1862 – zum wichtigen hussitischen Pilgerort geworden, wo des böhmischen Reformators gedacht wird, wie im letzten Jahr zu seinem 600. Todestag [3], in dem Gottlieben dank 30 Künstlerinnen und Künstlern eine Weile sogar den tschechischen Namen «Bohumilov» (= Gottlieben) trug [8]. Die Türme mit dem Hus-Gefängnis sind im Grunde auch das Einzige, was aus dem mittelalterlichen Schloss Gottlieben erhalten blieb. Denn das Schloss wurde 1836–1838 von Prinz Louis Napoleon (III.) und seiner Mutter Hortense de Beauharnais, die bereits in dem nicht weit entfernten Schloss Arenenberg zuhause waren, im grossen Stil umgebaut [1: 190–192] und erinnert seither an einen venezianischen Palazzo (Abb. 2). Heute wird das Schloss von der Tochter der Schweizer Opernsängerin Lisa della Casa bewohnt und ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der ‹Hus-Turm› ist aber vom Wanderweg, wo auch eine Informationstafel mit der Geschichte des Schlosses steht, gut zu sehen (Abb. 3). Ein Besuch in diesem kleinen ‹Gott lieben› Ort bei Konstanz, die in die europäische Geschichte eingegangen ist, lohnt sich aber auf jeden Fall – und das nicht nur für Hussiten.

[Kürzere Version des Artikels: Theologisch bedeutsame Orte in der Schweiz | konstruktiv N° 40 / 2016, 15]

Literatur
  1. R. Abegg/P. Erni/A. Raimann, Rund um Kreuzlingen, Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Die Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau 8, Bern 2014, (174–215) 187–199.
  2. E. Bächer, Gottlieben. Informationen zur Geschichte, Kreuzlingen 2001, 36–42.
  3. B. Bergmann, Einsatz für eine glaubwürdige Kirche, in: News (2015), http://www.evang-tg.ch/meta/news/newsdetail/artikel/2015/jul/einsatz-fuer-eine-glaubwuerdige-kirche.html.
  4. D. Gügel, Schloss Gottlieben – Festung, Palast, Kerker, in: S. Volkart (Hg.), Rom am Bodensee. Die Zeit des Konstanzer Konzils, Der Thurgau im späten Mittelalter 1, Zürich 2014, 131–134.
  5. P. v. Mladoniowitz, Hus in Konstanz. Der Bericht des Peter von Mladenowitz, hrsg. v. J. Bujnoch, Slawische Geschichtsschreiber 3, Graz/Wien/Köln 1963.
  6. E. Nyffenegger/O. Brandle, Die Siedlungsnamen des Kantons Thurgau, Thurgauer Namenbuch 1.1 (A-I) – 1.2 (K-Z), Frauenfeld 2003, https://www.ortsnamen.ch.
  7. U. v. Richental, Augenzeuge des Konstanzer Konzils. Die Chronik des Ulrich Richental, hrsg. v. M. Küble/H. Gerlach, Darmstadt 2014.
  8. J. Wipfler, Im zweitkleinsten Schweizer Dorf wird die Grenze zur Kunst, in: SRF Kultur (2014), http://www.srf.ch/kultur/kunst/im-zweitkleinsten-schweizer-dorf-wird-die-grenze-zur-kunst.
Links
  1. Gottlieben: http://www.gottlieben.ch
  2. Konstanzer Konzil: http://www.konstanzer-konzil.de
  3. Napolenmuseum Arenenberg: http://www.napoleonmuseum.tg.ch
Bilder
Abb. 1: Zur Fasnachtszeit entweichen vier eingekerkerte Priester mit Hilfe von Stricken aus dem bischöflichen Gefängnis im Schloss Gottlieben (1508). Eidgenössische Chronik des Luzerners Diebold Schilling (Luzerner Schilling), S 23 fol., 546. © 2015 Luzern, Korporation Luzern (http://www.e-codices.unifr.ch/de/kol/S0023-2/546).
Abb. 2: Das Schloss Gottlieben heute – Blick vom Seerhein. © 2014 groeche (Adobe Stock).
Abb. 3: Der ‹Hus-Turm› – Blick vom Wanderweg. © 2016 Bettina Kindschi.