Die brennende Lampe des Herrn (Lk 1,5–17.57–66)

Er war die Lampe, die brennt und leuchtet… (Joh 5,35)

Wer ist wohl der bedeutendste Mensch aller Zeiten? Einige würden sagen Jesus, andere Buddha und andere wiederum Aristoteles, Galileo oder Albert Einstein. Es gibt auch verschiedene Ranglisten mit 50 oder sogar 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Geschichte. Doch wahrscheinlich niemand wird auf die verrückte Idee kommen Johannes den Täufer zu nennen und ich bin mir ziemlich sicher, man würde ihn wohl auf keiner dieser Listen finden.

Doch was sagt Jesus, der ja oft unter den einflussreichsten Persönlichkeiten der Geschichte genannt wird, über Johannes den Täufer? Es steht im 7. Kapitel des Lukasevangeliums:

Ich sage euch: Unter den von einer Frau Geborenen gibt es keinen grösseren als Johannes. (Lk 7,28)

Und auch der jüdische Historiker des ersten Jahrhundert Josephus Flavius schreibt über Johannes:

Manche Juden waren übrigens der Ansicht, der Untergang der Streitmacht des Herodes sei nur dem Zorn Gottes zuzuschreiben, der für die Tötung Johannes‘ des Täufers die gerechte Strafe gefordert habe. Den letzteren nämlich hatte Herodes hinrichten lassen, obwohl er ein edler Mann war, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu streben, indem er sie ermahnte, Gerechtigkeit gegeneinander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben und so zur Taufe zu kommen. (Antiquitates Judaicae XVIII 5,2)

Ja, Johannes war ein bedeutender Mann in der Palästina des ersten Jahrhunderts, aber «der Grösste unter allen von einer Frau Geborenen»? Wie ist das zu verstehen?

Die Kirche zählt Johannes den Täufer zu den Heiligen und feiert seit dem 5. Jahrhundert seinen Geburtstag. Das ist sonst nur bei Maria der Fall und natürlich bei Jesus. Und das ist auch der Grund dafür, dass man an diesem Tag, wie zu Weihnachten, die weisse liturgische Farbe verwendet. Bei allen anderen Heiligen feiert man nämlich den Todestag und die liturgische Farbe ist meistens rot. Die alte Kirche war sich also der Bedeutung Johannes‘ des Täufers sehr bewusst und in der orthodoxen Tradition ist Johannes bis heute der Heiligste aller Heiligen, dem die zweite Stelle nach Maria, der Gottesmutter gehört. Dennoch, denke ich, dass die meisten Christen heute nicht mehr wissen, was sie mit diesem Mann anfangen sollten. Für die meisten ist er ja vor allem ein ‹Wegweiser› für Jesus, doch wer braucht schon am Ende der Reise einen Wegweiser? Aber ist es wirklich so? Hat sich seine Aufgabe mit dem Kommen Jesu erübrigt und wir sind ihm jetzt nur aus sentimentalen oder historischen Gründen dankbar? Oder ist Johannes der Täufer doch mehr als nur ein Wegweiser in der Geschichte?

In allen vier Evangelien wird sein Wirken gleich am Anfang sehr detailliert geschildert: Er «trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig» und «verkündete eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden» (Mk 1,6.4). Und seine Predigt waren keine lieben Worte. Zu den Volksscharen, die hinauszogen, um sich von ihm taufen zu lassen, sagte er zum Beispiel: «Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt» (Lk 3,7)? Ja, ich denke, so will keine Tauffamilie begrüsst werden….

Das Kommen Christi hat er dann mit folgenden Worten angekündigt: «Ich taufe euch mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand, um seine Tenne zu reinigen und den Weizen in seine Scheune zu sammeln; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen» (Lk 3,16–17). Und zweifelsohne meinte er damit das Feuer des Jüngsten Gerichts. Dennoch schreibt Lukas nach diesen Worten: «Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk und verkündete die frohe Botschaft». An dieser Stelle fragt man sich, was man hier eigentlich unter «frohe Botschaft» verstehen soll.

Es verrät uns aber etwas über die damalige Zeit. Diese war dunkel und man wollte im Grunde vor allem eine Sache: die Gerechtigkeit. Und zwar nicht die menschliche Gerechtigkeit, sondern die wahre Gerechtigkeit von Gott, der «die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht», wie es schön im Magnificat, dem Lobgesang Mariens, heisst (Lk 1,52). Und vielleicht haben schon damals diese und ähnliche Worte Johannes geprägt, denn Maria, die Mutter Jesu, hat diesen Lobgesang gesprochen als sie der schwangeren Elisabet, der Mutter des Johannes, begegnet ist. Elisabet war damals schon im sechsten Monat und man liest bei Lukas: das Kind hüpfte in ihrem Leib als es die Stimme Marias hörte (Lk 1,41). Von Lukas wissen wir auch, dass Maria und Elisabeth verwandt waren, und, dass Johannes eben sechs Monate älter war als Jesus. Was auch der Grund ist, dass wir seine Geburt genau am 24. Juni feiern – sechs Monate vor Weihnachten. Die wundersame Geschichte seiner Geburt wurde von Lukas auch in die Geschichte der Geburt Christi, also in die Weihnachtsgeschichte, sehr schön eingewoben und mit ihr auf diese Art und Weise fest verbunden.

Johannes und Jesus verbindet also mehr als die Taufe und das Wirken. Es ist schon die Geburt, ja sogar vor der Geburt waren sie beide miteinander verbunden: der «Sohn des Höchsten» (Lk 1,32) und der «Prophet des Höchsten» (Lk 1,76). Dies muss man sich vor Augen halten, wenn man die Bedeutung des Johannes des Täufers verstehen will. Er ist nicht nur ein Wegweiser und ein Zeuge für Christus. Denn auch er wird in der Bibel das «Licht» genannt. Im Johannesevangelium heisst es: «Er war die Lampe, die brennt und leuchtet…» (Joh 5,35). Über Jesus heisst es: Er war das «wahre Licht» (Joh 1,9). Sie sind beide Lichter, Johannes und Jesus: Johannes die Lampe, das irdische/menschliche Licht; Jesus das himmlische/göttliche Licht. Nun könnte man natürlich sagen: Wer braucht am helllichten Tag, also nach dem Kommen Christi, noch eine Lampe? Doch der Tag ist noch nicht ganz gekommen – wir leben, wie die ersten Christen auch, noch zwischen den Zeiten, in der Zeit der Dämmerung: das Himmlische bricht ein, aber das Irdische ist immer noch da. Im Johannesevangelium sagt Jesus zu seinen Jüngern sogar:

Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. (Joh 9,4–5)

Und in der Nacht braucht man eine Lampe. Wenn man die Sonne nicht mehr hat, hilft uns die Lampe sich zu orientieren und das Feuer uns zu wärmen. Und im Leben von jedem von uns gibt es Abschnitte der Nacht, wenn die Sonne weg ist und die Dunkelheit und Kälte der Nacht sich ausbreiten. Und in diesem Fall hat man zwei Möglichkeiten: entweder in der Dunkelheit und Kälte auszuharren bis der Tag kommt oder eine Lampe und ein Feuer zu entzünden und sich auf den Weg zu machen und der Sonne entgegenzulaufen. Das heisst übersetzt: das menschlich Mögliche zu tun, um wieder herauszukommen. Und Johannes ist die mahnende Stimme, die uns dazu in den Nachtabschnitten unseres Lebens und den Nachtabschnitten der Geschichte ruft, und dies wird so bleiben bis der Herr wiederkommt. Bis dahin bleibt diese Spannung zwischen dem, was wir als Menschen tun können und müssen, und dem was nur Gott tun kann. Und jeder von uns muss hier ein Gleichgewicht finden, doch mit der Zeit sollte das Menschliche in unserem Leben abnehmen und das Göttliche zunehmen. Dies spiegelt sich symbolisch auch in dem liturgischen Kalender wider: mit dem Geburtstag des Johannes des Täufers, nach der Sommersonnenwende, nimmt der Tag ab; nach dem Geburtstag Jesu, der Wintersonnenwende, nimmt der Tag wieder zu. Wie Johannes selber gesagt hat: «Er muss wachsen, ich aber geringer werden» (Joh 3,30). Das ist das grosse Ziel zu dem uns Johannes ermahnt. Denn die Worte, die über ihn in der Schrift gesagt wurden, gelten auch heute für uns: «Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heissen; denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten» (Lk 1,76).

Tue also das Mögliche und bereite wie Johannes dem Herrn in deinem Herzen den Weg und Gott wird dir das Unmögliche dazugeben. Denn es gibt zwei Wege, wie Gott in unserem Leben wirkt, und hier unterscheidet sich auch die Predigt Jesu und die des Johannes: Beide, Jesus und Johannes, predigen die Gnade Gottes. Doch während Jesus den Menschen die Gnade schenkt und diese sie dann zur Umkehr führt, sagt Johannes: kehrt um, damit die Gnade kommen kann. Über Johannes sagte man zu seiner Zeit auch (Lk 7,33–34): «Er isst kein Brot und trinkt keinen Wein», er hat «einen Dämon». Und über Jesus sagte man wiederum: «Er isst und trinkt», siehe, ein «Fresser und Säufer». Doch die Wahrheit ist, dass es im Leben eines Menschen beides gibt: Eine Zeit der Umkehr und eine Zeit der Gnade, eine Zeit des Fastens und eine Zeit des Festens, und eine Zeit der Sonne und eine Zeit ohne Sonne, wenn wir nur eine brennende Lampe in Händen haben, die uns hilft den Glauben an das wahre Licht nicht zu verlieren bis der Tag wiederkommt. Denn auch eine kleine brennende Lampe in der Hand legt ein Zeugnis über die wahre und unbesiegbare Sonne ab, nach der wir unser Leben ausrichten, und hilft uns im Dunkel der Welt den Weg wieder zu finden.